in der Galerie Meier, Freiburg
"Nichts ist dem Nichts so gleich, wie Einsamkeit und Stille: Deswegen will sie auch, so er was will, mein Wille" (Angelus Silesius)
Einsamkeit und Stille sind den Bildern von Celso Martínez Naves gleichsam eingeschrieben, - aber das Nichts?
Prallvoll sind diese Leinwände - nicht mit Menschen, sondern mit Atmosphäre.
Eine seltsame Melancholie beherrscht seine bevorzugt bei Nacht dargestellten Orte. Wirklich bei Nacht? Vielmehr ist es wohl diese seltsame Schwellenzeit zwischen Nacht und Morgengrauen, die ihn reizt, jene zäh fließenden Stunden, in denen sich jeder Frühaufsteher die Traumfetzen aus den Augenwinkeln reibt und kaum Sinn hat, für die stille Schönheit, die dem "Nochnichterwachten" inne wohnt.
Eine entschiedene Vorliebe für die Zeit zwischen Tag und Nacht, Traum und Wachsen, Schein und Gewissheit war auch die Spezialität der Deutsche Romantik und ein winziges Nachbeben romantischer Gesinnung ist auch diesen beinahe altmeisterlich guten Ölbildern anzumerken, eine unterkühlte Romantik freilich, bar jeder Metaphysik. Allesamt sind es Orte des Abschiednehmens und Übergangs, die uns der Maler aus der Perspektive des kunstlichtverliebten Flaneurs präsentiert: Hafenanlagen in Hamburg und im Ruhrgebiet, oder irgendwo in Spanien, eine x-beliebige Tankstelle, die sich erst bei näherem Hinsehen als Freiburger "Location" entpuppt. Auch der Moskauer Flughafen ist ein Allerweltsplatz - ein Ort der Passage, an denen man gemeinhin ungern verharrt - nicht zuletzt wegen der oft klammen Witterung.
Gerade auf dem regennassen, elektrisch beleuchteten Asphalt ergeben sich für Martínez Naves die stimmungsvollsten Augenblicke, ein wahrer koloristischer Leckerbissen etwa die Straßenszene vom Prenzlauer Berg mit den vielfachen Reflexionen der vielleicht leise schwankenden Trambahn-Leuchten auf regennassem Kopfstein.
Dieser Maler aus Spanien ist ein Meister des Lichts - in der besten Tradition der Impressionisten? Man denkt - wenn überhaupt, in diesem Zusammenhang eher an Caillebotte als an Monet, auch wenn uns der Maler auf eine nächtliche Kahnfahrt mitnimmt. Bekanntlich hatten die Franzosen auch keine ausgesprochene Vorliebe für nächtliche Sujets und ihr Lieblingsthema, der Wechsel der Erscheinungswelt im Wechsel des Lichts scheint Martínez Naves kaum zu interessieren. Gleichwohl ist der Effekt nicht ganz unähnlich: Der gleichsam im Moment der Betrachtung eingefrorene Blick, die angehaltene Zeit, der "nunc stans".
Auch der Amerikaner Edward Hopper in den Sinn kommen, doch während er in stillen Straßenszenen kammertheatralische Sentenzen vorführt, gleichsam Short Cuts aus Hemingway-haften Short Stories, erzählt uns Martínez Naves - nichts.
Kein Ausschnitt, aber doch ein Befremden über die Welt, die in der atmosphärischen Verdichtung so zwingend wie fremd erscheint und doch auch ganz anders sein könnte. Filmstills wie von Wim Wenders oder Aki Kaurismäki. Orte der forcierten Einsamkeit. Tatsächlich malt hier jemand nach fotografischer Vorlage, freilich ohne sich sklavisch an sie zu klammern.
Und am stärksten wohl dort, wo der koloristische Duktus Freiräume öffnet, der konkrete Ort seine Kontur verliert.
Im Bildaufbau folgt er der traditionellen Zentralperspektive - Fluchtlinien und -punkte lassen sich verorten, einiges erscheint in leichter Aufsicht, das meiste aus der Perspektive eines aufrecht stehenden Menschen.
Wo aber ist der Mensch im Bild? Viermal können sie die menschliche Figur auf diesen Bildern antreffen, doch niemals auf den ersten Blick. Vielmehr scheinen die Kollegen jenes flanierenden Betrachters, in dessen Rolle wir selbst unmerklich schlüpfen, sich zu verflüchtigen wie ein scheues Alter Ego, als störe seine Anwesenheit jene geheimnisvolle Stille, um die es dem Maler vor allem zu tun ist.
Gehen wir doch einmal auf die Suche nach dem Menschen! Im Kahn ist der Nachtfischer nur mehr ein gelber Fleck, auf dem Berliner Pflaster kaum mehr als ein Schemen - ein schattenhafter Jogger.
Die Kulissen, in die hinein uns der Maler mit suggestivem Sog zieht, sind häufig Orte menschlicher Arbeit, scheinbar unberührte Natur gibt es allenfalls hinterm Nachtfischer. Wesenhaft wirken vielmehr die Maschinen: Jumbos wartend oder im Landeanflug.
Tausendmal gesehen, doch vielleicht nicht ebenso - befremdend anders.
Es ist diese verhaltene, kaum spürbare Befremdungsstrategie, die uns auf diesen Bildern subtil in Bann schlägt und die Celso Martínez Naves besondere Spezialität ist.
Das Bekannte, ja Banale kommt uns in der rechten Belichtung so traumentrückt vor, als wären wir noch nicht recht angekommen, bei uns oder am Ort unserer Bestimmung - was immer das heißt: On the way und in between - das ist die Stimmung dieser Bilder. Sie mögen in uns Fernweh wecken oder ganz einfach nur die Bereitschaft uns tiefer und hingebungsvoller einzulassen, einzusehen - in diese fremd-vertraute Welt.
Sehenswert sind sie in ihrer herrlichen Ambivalenz alle.
Stefan Tolksdorf, 13. April 2012