Überschrift: Texte
Nächte ohne Mond.
Celso Martínez Naves stellt bei Herder aus

Nocturne. In seinen Anfängen führt das malerische Nacht-Stück zu den biblischen Historien zurück. Die Nacht, in die ein Geschehen plötzlich hereinbricht - eine Möglichkeit, die Handlung im geschärften Hell/Dunkel zu dramatisieren (zum Beispiel Raffaels "Befreiung Petri" in den Stanzen im Vatikan). Was im Lichtkreis erscheint, bleibt doch in seiner Herkunft dunkel. Undurchschaubar oder wunderbar. In der "Heiligen Nacht" (bei dem Altniederländer Geertgen schon, Hans Baldung oder Correggio) ist es das Christkind selbst, das leuchtet, das Licht in die Welt bringt und damit das göttliche Wunder augenfällig macht.

Die Nacht zwischen "unheimlicher" Lichtlosigkeit und "heimeligem" Dämmer. In dem Maß, wie sie den Dingen die Deutlichkeit nimmt, wird sie Raum für Empfindungen und Phantasien. Nachtbilder gewinnen an Beliebtheit mit der Subjektivierung der Kunst, bei den Holländern des 17. Jahrhunderts und vor allen in der Romantik. Johann Peter Hasenclevers, des streitbaren Düsseldorfers, Bild "Die Sentimentale" (1846) ist eine Persiflage auf das empfindsame Nocturne. Ein somnambules Biedermeierfräulein, das im Angesicht des Mondes - im verliebten Gedanken an seinen Husaren (von dem der Maler ganz nebenbei noch erzählt) die Welt vergisst. Der junge Spanier Celso Martínez Naves, ein Freiburger Schüler von Peter Dreher, ist ein Maler vor allem von Nacht- und "Bergarbeit-Bildern". Nah an die vierzig kleinformatige Nacht-Stücke sind jetzt in Freiburg bei Herder zu sehen. Bilder, die in einer langen Tradition stehen und doch außerhalb jeder sentimentalen Verpflichtung. Am nächsten noch zu den zeitgenössischen Spanischen Realisten. Ich denke an lsabel Quintanilla, an ein "Nächtliches Fenster" von Francisco López.

An die Stelle des Mondes setzt Martínez Naves die moderne Straßen leuchte, als Attribut der urbanen Landschaft, die bei ihm menschenleer bleibt. Manchmal ist es nur der Lichtschein, manchmal ein Ausschnitt eines Industriebezirks oder der Blick auf eine Gleisanlage, den er zeigt. Aus dem Unbestimmten herausgehobene Plätze. Straßen und Wege, die sogleich wieder ins Dunkel gehen. Nichts ist daran, was unverwechselbar wäre. Es sind Situationen im Irgendwo und offen nach überallhin. Auf dem zweiteiligen Bild eines Güterbahnhofs liest man die Richtungshinweise: Köln, Milano, Lugano ...

Das sind nun nicht mehr die Nächte, die einen einhüllen oder das Fürchten lehren. Nichts von Wundern und Abenteuern und großen Gefühlen, keine Geschichten von dieser Art. Nur von zusammenhängen, die sich verlieren. Von der Vertrautheit, die sich nicht herstellt. Von Orten, die keine sind.

Volker Bauermeister,
Badische Zeitung vom 26. März 1985