"Filmische" Lichtblicke
Gedanken zu den Bildern von Celso Martínez Naves
Dieser Maler ist ein Frühaufsteher.
Wenn Celso Martínez Naves seine Runden durch das noch nicht erwachte Freiburg dreht, liegt eine dezente Erwartung über der Stadt, das Fluidum des Möglichen, ja Unausdenkbaren - auch was die eigene Schaffenskraft betrifft.
Martínez Naves ist ein Meister dieses Möglichkeitssinns, den er geschickt an bekannte oder scheinbar bekannte Kulissen knüpft, besser: über sie ergießt.
Ja, staffagehaft wirken viele seiner menschenleeren, regennassen Straßen, glänzend im Licht der Bogenlampen und Reklameleuchten, als würden sie jeden Augenblick von quietschenden Reifen geweckt, als schöbe sich nach dem Filmstill die Frontale eines Trenchcoats ins Bild, ein einsamer, die Straße querender Passant, auf dem Weg in eine melancholische Kurzgeschichte.
Auch kommen Szenarien von Eduard Hopper in den Sinn, an dessen urbane Einsamkeitsinszenierungen Martínez anzuknüpfen scheint. Auf alles Szenische wird indes verzichtet; es bleibt, quasi als pars pro toto, der sprechende Ort. Der Mensch scheint mir im oft tristen Setting schon enthalten, aufgehoben in der beherrschenden Farblicht-Stimmung, die im Betrachter ihren atmosphärischen Nachklang findet.
Celso Martínez Naves - darin ist er Realist - schönt nichts, aber er weiß die Farbstimmung und damit latente Erwartung zu steigern - und darin ist er ein Romantiker.
Wie schrieb doch Novalis: "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es."
Freilich gilt bei Naves der Umkehrschluss schon nicht mehr.
Wenn er in einer geradezu altmeisterlichen Alltagsszene im Souk von Marrakesch eine Allegorie der drei Künste Literatur, Musik und Malerei versteckt, ist dies nur eine sehr geringe Abweichung vom fotografischen Vorbild. Entscheidender ist allemal die farbliche Verfremdung, die Transformation des Lichtbilds in die Farbstimmung, in feine Valeurmalerei. Verklärt wird nichts in diesen filmstillhaften Farblichtinszenierungen, eher eine schon durchs Sujet vorgegebene Stimmung verstärkt, bisweilen bis an den Rand des traumhaft Irrealen.
Zwischen Tag und Traum, exaktem Wahrheitswillen und kalkulierter Stimmungsmalerei, Romantik und (mitunter phantastischem) Realismus changiert Naves gegenständliche Bildwelt. Oft sind es nur Nuancen der Abweichung vom Bekannten, auf den zweiten und dritten Blick erkennbar, in welchen der besondere Reiz dieser Bilder liegt. Inspirierend wirkt schon bei der Motivsuche eine beinahe impressionistische Lust an Lichtphänomenen, freilich weniger am Wechsel des Tageslichts, als am Zwielicht, dem neblig Gebrochenen. Reflexionen des Kunstlichts auf dem nassen Asphalt - von Rollbahnen, Asphaltschluchten, Industriezufahrten in Berlin, Madrid, Dresden und anderswo.
Diese stillen Szenen und subtilen Veduten im frühmorgentlichen Kunstlicht, das sich mit dem des werdenden Tages mischt, gehören zweifellos zu den besonderen Spezialitäten dieses Malers. Auffällig ist seine Vorliebe für Orte des Transfers, der An- und Abreise - "Un-Orte" gar. Per se erwartungsschwanger sind sie, die Flughäfen und Binnenhäfen, und auch wenn wir wissen, dass in Frankfurt am Main alle drei Minuten ein Flieger landet oder abhebt, ist das erstarrte Bild einer solchen Aktion doch grundiert von einer beinahe mythischen Dignität - manifestiert sich in diesem Anblick doch noch immer der alte Menschheitstraum. Oder ist es allein die Malerei, die uns vor der Veralltäglichung auch solcher Bilder bewahrt?
Celso Martínez, so viel ist sicher, weiß um die Faszination des Augenblicks, und er reizt sie raffiniert aus, steigert sie behutsam zum Farb- Licht- Ereignis.
Auffällig auch sein Hang zur wasserschweren, dunstschwangeren Atmosphäre, Straßen und Plätzen auf denen der Betrachter zur gemalten Zeit nicht unbedingt unterwegs sein will. Immer wieder aber bedient er auch die Sehnsucht nach purer Schönheit, wenn er, quasi in Canalettos Fußtapfen den Canal Grande konturenstark im Frühlicht erstrahlen lässt. Faszinierend, auch vor diesen Motiven, die an sich ja banale Erfahrung, wie sehr diese Bilder, insbesondere die großen Tableaus zur puren Malerei werden, je mehr man sich ihnen nähert, dass sie erst bei wachsender Distanz, ihre volle räumliche Präsenz entfalten. Ein primärfarbiger Grundakkord bestimmt dabei die farbliche Komposition, nichts überlässt der Maler dem Zufall, die gewählte Tageszeit bestimmt die Koloristik. Das formale Spektrum ist dabei weit grösser als es scheint. Es reicht von beinahe nachimpressionistischen Nuancierungen grüner Lichtstreifen einer mit dem Asphalt verschwimmenden Fassade, über die nebelverwaschene Neonlichtakzente einsamer Tankstellen, an Whistlers berühmte Rakete erinnernd, bis zu konturenscharfen Canal Grande-Palästen im Frühlicht, vermeintlich altbekannt Venedig-Veduten und Genre-Szenen, die als Hommage an seinen großen Landsmann Diego Velázquez erscheinen.
Bisweilen erlaubt sich der Maler beinahe burleske Freiheiten, etwa wenn er zwei der andächtig einem Affenbändiger lauschenden Jungen auf dem "Platz der Geköpften" in Marrakesch das eigene Kinderantlitz und das seines Bruders verleiht. Oder wenn zu Füssen eines marokkanischen Gelegenheitsdichters der eigene Name auf dem Boden erscheint wie ein verheißungsvolles Menetekel. Oder wenn dieser Name in der Sprache der Thai an einer nächtlichen Berliner Häuserzeile prangt. Ansonsten ist der Zug zur Ironie Naves' Schaffen eher fremd. Indem er die Stimmung von Landschaften, Landebahnen und Autobahnen unter sich auftürmenden Wolkengebirgen, ja selbst sattsam touristisch missbrauchter und sattsam abgesehener Venedig-Ansichten ernst nimmt, wendet er sich, im Gegenteil, betont gegen den sarkastischen Zeitgeist, verfällt andererseits aber nie der Versuchung Gefahr konsumistischer Schwelgerei.
In einer Zeit der überbordenden Bilderfluten ist es schon eine Kunst, mit solchen Motiven gesehen zu werden. Eine noch größere Kunst, wenn sie malerisch so sehr überzeugen, ohne jedes pseudo-mythische Hintergrundraunen. Diese Bilder beweisen, dass die abbildende Kunst noch lange nicht am Ende ist, und dass es uns noch immer möglich ist, das vermeintlich Bekannte in neuem, geheimnisvollem Licht zu sehen. Idealerweise wie zum ersten Mal.
Stefan Tolksdorf, 13. Juli 2013