Auszug aus der Einführung in die Ausstellung im Künstlerkreis Ortenau, 2007
… Viele der Bilder, die Sie hier in der Ausstellung „Entre Madrid y Berlín“ sehen können, wirken so, als sei Celso Martínez Naves, wie William Harford in „Eyes wide shut“ durch die Nacht von Madrid bis Berlin gefahren, völlig allein auf der Welt, als hätte sich Wirklichkeit und Traum miteinander verbunden. Denn wenn kein Traum völlig Traum ist, ist auch die Realität nicht völlig Realität.
Auf die Frage, wie seine Bilder entstehen, hat mir der 1953 im spanischen El Entrego geborene Celso Martínez Naves geantwortet: „Ich male, was ich gesehen habe - ungefähr.“ Und weiter: „Genau malen, ist Fleißarbeit, man muss die Luft dazwischen malen können.“
Dass dieses Zwielicht auch durch das Beimischen von Grau entsteht, gehört ebenso wie die eher unscharfen, nicht sehr professionell geschossenen Fotos, nach denen Naves’ Bilder entstehen, eher zu technischen Seite. In diesem nachgeschobenen „ungefähr“ steckt jedoch das, was wir als malerischen oder gar poetischen Mehrwert an Naves’ Bildern wahrnehmen. Der in Freiburg lebende Künstler hat sich entschlossen, Bilder nach Bildern zu schaffen. Wenn er im Atelier und eben nicht direkt vor dem Sujet zu malen beginnt, schiebt sich die Erinnerung über das Motiv. Es ist zugleich eine Erinnerung, die die Tradition mit einschließt, denn Celso Martínez Naves knüpft an Landschafts- und Städteansichten an, mitunter auch am Panorama.
In vielen von Celso Martínez Naves’ Bildern schaut der Betrachter direkt auf eine Straße so als ob er sich am Steuer eines Autos befände. In „El Berrón I“ fahren wir gerade an einer Kreuzung vorbei, links beginnt die Stadtbrache, die von den Straßenlampen und der fahlen Morgendämmerung ein wenig erhellt wird. Meist jedoch scheint sich eine Straße, oft eine Autobahn durch die Landschaft zu fressen. Links die Überholspur, rechts der Seitenstreifen, daneben je nach Jahreszeit trockene, gelbe Felder oder verschneite Äcker, darüber ein schier endloser Himmel. Man kennt solche Bilder von langen Fahrten in den Urlaub, auf denen Zeit und Raum zur Einheit werden. Die Entdeckung der Landschaft hat der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch mit der Erfindung der Eisenbahn gleichgesetzt. Erst die stete Bewegung des Zuges und das damit verbundene Verschwimmen der Außenwelt, so seine These, haben die vorbeiziehenden Felder und Wiesen zum Raum-Zeit-Panorama gemacht.
Indem Celso Martínez Naves jedoch die Straße in den Fokus rückt, kommt noch etwas anderes hinzu. Es ist das Moment des Reisens, der Suche, vielleicht auch das Versprechen eines Ziels und einer Ankunft. Wie im amerikanischen Roadmovie drückt sich in den Bildern von Celso Martínez Naves ein programmatisches Unterwegssein aus. Man kann es als Ausdruck einer künstlerischen Unabhängigkeit und Freiheit verstehen, als existentielle Suche. Die häufig vom Künstler gemalten Tankstellen bilden Knotenpunkte im System der Straßen. Ebenso wie die Gleisanlagen, schaffen sie die Illusion, es könnte ewig so weiter gehen. Dass auf das Morgengrauen der Tag, die Dämmerung folgt und dass jeder Tag von einem neuen abgelöst wird.
Das "zwischen" im Titel der Ausstellung „entre Madrid y Berlín“ verbindet also nicht nur die Städte, es ist ein eigenständiger Ort, seine Beleuchtung: das Zwielicht der Abenddämmerung und des Morgengrauens. Denn die Städte bedeuten für Celso Martínez Naves weder touristisches Urlaubsziel noch Heimat. Schaut man sich seine Motive genauer an, fällt auf, dass es häufig repräsentative öffentliche Bauten, Prachtstraßen oder Hotels sind. Wirft man einen zweiten Blick auf sie, ist nicht zu übersehen, dass sie meist menschenleer sind. Es sei die Stimmung von Ruhe, Stille und Beschaulichkeit, die er sucht. Dass ihm dies inmitten unserer so trubeligen Metropolen darzustellen gelingt, liegt daran, dass er sie erträumt, indem er sie malt und so vielleicht ihre innerste Wahrheit enthüllt. Celso Martínez Naves’ Bilder entstehen durch radikales Weglassen: „Es soll so wenig wie möglich da sein“, sagt der Maler. Menschen würden hier nur stören, Erzählungen provozieren. Es sind Idealbilder, mit denen er die Metropolen angenehm machen möchte, die zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelt sind. Die Schönheit, die uns in Celso Martínez Naves’ Bildern begegnet, hat ihre morbiden Seiten, die zu melancholischen Träumen verleiten.
Romantisch? Ja, aber im Sinne der Frühromantik des Novalis, der 1798 in den "Fragmenten über Poesie" schreibt, "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten, die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es." (II, 545, 105)
Eine Romantik, die sich gut mit der Ironie verträgt. Wer genau hinsieht, erkennt auf einem Ortsschild an einer spanischen Landstraße den Namen des Künstlers, im "Belmonte" den Schönberg in Freiburg und in "POTS" den verdrehten Schriftzug eines Stoppschildes. Manchmal enthüllt sich in der gemalten Wirklichkeit ein Stück ihrer innersten Wahrheit.
Annette Hoffmann (M.A.)