Celso Martínez Naves. Malerei
Einführungsrede bei der Vernissage am 24.Oktober 2019 Galerie Meier, Freiburg
Celso Martínez Naves, der Künstler mit dem schönen spanischen Namen, ist hier gewissermaßen zuhause: Seit 2006 ist er regelmäßig in der Galerie Meier zu Gast. So werden viele von Ihnen den Künstler und seine Malerei schon kennen.
Er stammt aus El Entrego, einer kleinen Stadt in Asturien in Nordwestspanien, deren Einwohner v. a. vom Kohlebergbau lebten. Heute werden dort Touristen durch die Stollen geführt. Manches aus seiner Kindheit prägt ihn bis heute, wie er selbst erläutert, z. B. die Faszination für die Dunkelheit, das Licht und den subtilen Wechsel in der Dämmerung. Auch die Atlantikküste, die er in seiner Serie Valdearenas (im benachbarten Kantabrien gelegen) gemalt hat, ist nicht weit entfernt.
Doch Celso Martínez wollte weg, raus aus der kleinen Stadt und raus aus Spanien. Er war talentiert und hatte Glück: Schon mit 23 Jahren kam er nach Freiburg, wo er bei Peter Dreher Malerei studierte und parallel ein Kunstgeschichtsstudium an den Universitäten in Freiburg und Karlsruhe absolvierte. Von unbändigem Elan getrieben, hat er außerdem gleichzeitig Kunsterziehung studiert und auch dieses Studium abgeschlossen, mit dem ersten Staatsexamen.
An seine intensiven Studienjahre schlossen sich verschiedene Stipendien an, aber er blieb der Stadt Freiburg treu, hier ist sein Zuhause – ein spanisches Wahl-Bobbele! So setzt er eben auch den Sternwald ins Bild, wo er immer joggen geht, wie die sehr schöne Serie im Kabinett zeigt.
Die Galerie Meier stellt knapp 50 Bilder von Celso Martínez aus, davon sind über 30 aus den letzten beiden Jahren. Die Bilder sind mit seinem Gesamtwerk verklammert, weil er seine großen Werkreihen über mehrere Jahre auffächert: Er greift beispielsweise das Thema der Stadtansichten, der Straßenzüge, der Flughäfen oder der Industriebauten immer wieder neu auf.
Dabei malt er seine Motive in einer ganz bestimmten Weise – man könnte sagen, die Orte finden erst in seiner Malerei ihren originären, authentischen Ausdruck. Ich möchte Ihnen fünf Aspekte, fünf Stilmerkmale näherbringen, die in diesem Zusammenhang und für das Verständnis seines Werks besonders wichtig sind.
Der offene Vordergrund bietet den Zugang
Schauen Sie sich einmal nur die unteren Bildpartien an! Der Künstler gestaltet keinen klar akzentuierten Vordergrund, mit markanten Details, die scharf umrissen und zum Anfassen nah wären. In fast allen Bildern findet im Vordergrund gar nichts statt, zu sehen ist einfach nur der Boden: das Kopfsteinpflaster, ein Stück Straße, die Start- und Landebahn, Straßenbahnschienen, ein Gleis, oder auch eine Wasserfläche, eine Wiese, der zugewachsene Waldboden, oder in seinen Meer-Bildern der Strand. Immer tanzen Licht- und Farbreflexe über den Boden, wie ein Flirren. Sonst ist da nichts.
Es ist dieser Boden, auf dem der Künstler stand, als er das Foto gemacht hat, um diesen speziellen Ort in diesem besonderen Licht festzuhalten (schon wenige Minuten später kann sich die Atmosphäre verändert haben). Später greift er auf solche Fotografien zurück und setzt sie im großen oder im kleinen Format in Malerei um. Jetzt steht gleichsam der Betrachter auf diesem Boden, wenn er in das Bild eintaucht. Der offen gehaltene Vordergrund bietet dem Betrachter den Zugang in das Bild. Er bezieht ihn unmittelbar ein.
Zentrale Bildachsen schaffen Räumlichkeit
Zentrale Bildachsen gliedern die Fläche und den Raum. Sie schaffen eine Dreidimensionalität und führen den Betrachter in die Tiefe des Bildes, etwa wenn die parallelen Schienen eines Gleises, die Straßenmarkierungen oder die Gebäudefronten einem Fluchtpunkt zustreben. Die Horizontlinie, die ja immer auf Augenhöhe des Betrachters liegt, stellt meist keine solche Achse dar, wir können sie nur intuitiv ergänzen, sie verschwindet in der Ferne im diffusen Licht. Durch diese wenigen Linien ist die Räumlichkeit umrissen.
Wenn er diese Linien skizziert, dann muss alles exakt stimmen, jeder kleinste Fehler würde die Wirkung der Tiefenräumlichkeit stören. Er malt die zentralen Achsen auf die monochrome Grundierung, in der er schon vorab den Farbklang des Bildes vorgegeben hat. Zu der ersten Bildskizze gehören außerdem noch die Setzungen der Lichter. Auf diese Weise ist bereits in seiner ersten Skizze auf der Leinwand schon die Komposition mit ihrer jeweiligen Licht- und Farbstimmung angelegt.
Gestaltung großräumiger Ensembles
Das eigentliche Geschehen findet im Mittelgrund statt, hier gestaltet er seine Gebäudeansichten oder Plätze als große räumliche Ensembles. Auch eine Baumgruppe oder eine Reihung von Straßenlaternen können ein solches Ensemble bilden. Celso Martínez führt insofern die Tradition der klassischen Vedutenmalerei fort, der Stadt- und Landschaftsansichten der großen alten Meister der Venezianischen Schule etwa, wie Canaletto im 18. Jahrhundert.
Gleichzeitig wendet sich der Künstler aber von jeglicher Kulissenhaftigkeit der Stadt- und Landschaftspanoramen, wie sie auch heute noch tausendfach tradiert werden, radikal ab. Martínez‘ Stadtansichten sind eben gerade nicht vordergründig repräsentativ, sondern, wenn man so will, markante, aber ungeschönte Schauplätze des Alltags im 20. und 21. Jahrhundert. Seine Bilder rücken in die Nähe urbaner Filmarchitektur, wie sie beispielsweise im Genre des Film Noir inszeniert wird.
Die Kompositionen sind schmucklos und meist menschenleer, und sie strahlen eine große Ruhe aus. Die Orte kommen in gewisser Weise zu sich selbst. Celso Martínez malt vorzugsweise die kontemplative Stille der Nacht oder der frühen Morgenstunden. So kann er den Fokus auf den Ort selbst richten, bevor dieser vom pulsierenden Leben zurückerobert und die Aufmerksamkeit von anderen Dingen beherrscht wird.
Das Herausschälen von Typologien
Was ist stilisiert in seinen Motiven, was ist abstrahiert, was ist realistisch? Sehen diese Orte wirklich so aus, wie auf den Bildern dargestellt? Sie wirken doch sehr authentisch, oder nicht? Bei Celso Martínez ist dieser Grad zwischen Realismus und Abstraktion äußerst schmal, und genau hierin liegt das Geheimnis seiner Motivik. „Ich versuche, Bilder ortlos zu machen“, wie er es beschreibt.
Eine dargestellte Autobahn kann die A5 oder auch irgendeine andere sein – tatsächlich hat er in seinem Großformat A35-2 (2009, im Schaufenster zu sehen) die A35, die nach Mulhouse führt, gemalt. Auch die Flughäfen, die er malt hat er selbst besucht und sie in ihrer besonderen Lichtstimmung fotografiert, und doch sind seine Bilder keine Reisedokumentationen. Es ist ihm letztlich gleichgültig, welcher Flughafen hier dargestellt ist und was die Umstände seines Besuchs waren, und auch dem Betrachter kann das gleichgültig sein. Celso Martínez will ja gerade die Bilder „ortlos“ halten.
Wie gelingt ihm das? Man muss sich seine verschiedenen Motivwelten wie Typologien vorstellen: Fasziniert von bestimmten Gebäudetypen wie z. B. Industrie-Silos oder Tankstellen, bringt er das Charakteristische dieser Architekturen ins Bild, die großen, vertikalen Speicherkörper der Silos etwa oder die flachen, von Leuchtbändern gesäumten Dächer der Tankstellen. Es geht ihm darum, die für diese Bauwerke typischen Formen und Konstruktionen zu zeigen. Ortsspezifische Details lässt er weg, unterzieht seine Motive einer Reduktion. Manchmal ergänzt er auch Dinge. So bleiben die Orte letztlich selbst anonym und erhalten etwas Zeitloses, Zeichenhaftes.
Dazu passt auch, dass Celso manchmal mit Schriftzügen in seinen Bildern spielt, sie ironisch verändert, verdreht oder einfach umbenennt. In dem bekannten runden Logo auf dem Dach eines Ludwigshafener Chemiekonzerns das Wort „Payer“ zu lesen (Payer, 2019), gleichzeitig hat der Künstler dieses Logo dominant ins Zentrum des Bildes gerückt. In dem noch aus der DDR-Zeit stammenden großen Schild mit der Aufschrift „VEB Fischkombinat Rostock“ hat er das Wort „Rostock“ auf den Kopf gestellt. Zuweilen finden sich auch Straßenschilder oder Schriftzüge, die sich uns nicht sofort erschließen – fragen sie ihn danach, nichts in seinen Bildern ist absichtslos gesetzt!
Das Herausschälen seiner Motive im Zuge einer subtilen Reduktion ist ein wichtiges Stilmittel. Ich komme zum fünften und letzten Punkt, unübersehbar und von einer faszinierenden suggestiven Kraft:
In flirrendem Licht
Alle Werke von Celso Martínez zeugen von der großen Virtuosität in der Malweise, die immer ein wenig skizzenhaft und offen bleibt und mal mehr, mal weniger dem Impressionismus oder auch dem Pointillismus entlehnt ist. Seine Bilder sind gleichsam durchtränkt von ihrer Atmosphäre, man kann in sie eintauchen, sich in sie versenken.
Seine Malerei ist in geradezu altmeisterlicher Machart ausgeführt: mit großer Erfahrung und sicherem Gespür führt er den Pinsel und komponiert den Farbklang. In einem höchst lebendigen Pinselduktus malt er nicht nur die Motive, er malt auch die Luft mit ihrer jeweiligen Konsistenz, macht sie spürbar. So kommt in der Farbe die Atmosphäre des Ortes zum Ausdruck. Je dichter die Luft sei, umso einfacher lasse sie sich darstellen, sagt Celso. Und wie die Luft, so ist auch das Licht immateriell, atmosphärisch. In den Kohleminen seiner asturischen Heimat hatte er unter Tage Lichtstudien angefertigt, genau beobachtet, wie das Licht der Lampen nie direkt, aber z. B. im Staub der Lichtkegel sichtbar wird. Er kann Luft und Licht nur indirekt malen, aber er stellt sie doch naturgetreu dar.
Mit der offenen, impressionistischen Malweise geht einher, dass sich die Motive letztlich erst im Auge des Betrachters formen. Betrachtet man beispielsweise nur einen kleinen Ausschnitt des Kopfsteinpflasters oder der Wasseroberfläche im Vordergrund, dann erscheinen die Pinselkleckse abstrakt. Betrachtet man sie aus einem größeren Abstand und im Gesamtzusammenhang des Bildes, erkennt das Auge unwillkürlich ihre Bedeutung. Jedes Pinselpünktchen muss sitzen, hat seine Berechtigung und dient letztlich der Intention, „den kleinen Moment zu halten“, wie es der Künstler ausdrückt.
Wir wissen alle, dass eine Lichtstimmung, ein spezifischer Farbklang z.B. in der Dämmerung oder bei Nebel schnell verfliegt. Diese Atmosphäre einzufangen und für den Betrachter zu bewahren, ist seine große Leidenschaft.
© Dr. Heike Piehler