"Stadt und Wald" - Celso Martínez Naves im Radbrunnen, Breisach. Einführung zur Eröffnung der Ausstellung am 15. April 2018
Ich freue mich sehr mit Ihnen allen die Ausstellung von Celso Martínez Naves mit dem Titel "Stadt und Wald" zu eröffnen. Die Werkauswahl, die Ihnen der Künstler hier präsentiert stellt den urbanen Landschaften den Wald als Kulturraum gegenüber. Bis Ende Mai (27.5.18) können Sie auf drei Etagen Malerei erleben, die sich auf die Essenz des Mediums beschränkt und damit unsere Wahrnehmung in einem Maß erweitert, wie es eben nur die Malerei kann. Für mich ist diese Essenz die Farbe und gleichsam ihre Verwandlung in etwas, was wir nicht nur durch das Auge erblicken können, sondern mit all unseren Sinnen wahrnehmen. Schon auf der Einladungskarte zieht uns die Arbeit Puerto durch die einzigartige Lichtkomposition in ihren Bann.
Celso Martínez Naves verwandelt fassbare Materie in materieloses Licht. Er verwandelt zähe, undurchsichtige Ölfarbe in eine vielschichtige und vielfarbige Sinneswahrnehmung über die bis heute diskutiert wird, ob sie nun aus Wellen oder Teilchen besteht.
Der Maler, der in seinem Atelier fast tagtäglich diesen alchemistischen Vorgang der Verwandlung herbeiführt wurde in El Entrego geboren. Eine nordspanische Stadt, die wie das gesamte Gebiet Asturiens, vom Kohleabbau geprägt ist und wer jemals Emil Zolas Roman Germinal gelesen hat, kann sich vorstellen, wie arbeitsreich ein Leben dort geprägt sein kann.
So bearbeitet Celso Martínez Naves unermüdlich produktiv, revolvierend, präzise und mit Leidenschaft seine Themen durch die Ausdrucksmittel der Malerei. Als Maler ist er vorzüglich akademisch in seinem Handwerk ausgebildet, als Künstler schöpft er aus dem reichen Erlebnis- und Erfahrungsschatz des Weltreisenden, der eine Heimat in Freiburg gefunden hat. Von den Reisen quer durch Europa, Südamerika und Asien, mit dem Flugzeug oder dem Zug bringt Celso Martínez Naves nicht nur Eindrücke für seine Arbeiten mit, sondern auch die Inspiration seine nächste Umgebung mit anderen Augen zu sehen. Mit den Augen des Reisenden, der in der Malerei zu Hause ist.
In der hier gezeigten Werksauswahl treten Sie, liebe Besucherinnen und Besucher, in das Spannungsfeld der urbanen Landschaften und des Kulturraums Wald.
Der Blick vom Erdgeschoß nach oben vom Freiburger Münster zur Prager Karlsbrücke zeigt, wie feinsinnig die Abstimmung der Werke aufeinander und auf den Raum der Galerie erfolgte. Treten Sie einmal der Arbeit Münster gegenüber. Wie fühlt es sich an? Was sehen Sie? Eine Kathedrale, in Licht aus fahlem Mondschein und fast blendendem Kunstlicht getaucht. Der imaginäre Münstervorplatz erweitert sich durch den Kopfsteingepflasterten Boden in den realen Raum. Ist es ein bekannter Ort? Oder ist dort in dieser Vertrautheit etwas Unbekanntes, gar etwas Unheimliches wahrzunehmen? Es sind kleine malerische Feinheiten, die diesem vertrauten Motiv eine mystische Ebene hinzufügen, die vielen religiösen Bauwerken zu eigen ist.
Im ersten Stockwerk begegnen wir den Darstellungen des Waldes. Hier finden Sie einen Schlüssel zur virtuosen Verwandlung von Farbe zu Licht.
Die "Wald-Arbeiten", deren vielschichtiges Grün uns in der 1. und 2. Etage empfängt, eröffnen den Kosmos des Malers, der es versteht mit unterschiedlichen Farbaufträgen, ob lasierend dünn oder zentimeterdick pastos materieloses Licht zu gestaltet. Die kleine Arbeit Koh Gnai (1996) beispielsweise zeigt ein Waldstück aus Thailand, dessen dichte Farbschichten die üppig wuchernde Vegetation eines tropischen Waldes nahbar macht. Steht man direkt davor, nimmt man nur noch Farbe wahr - Malerei in ihrer essentiellen Gestalt.
Ganz anders das großformatige Waldstück Sternwald 10, das mit lasierendem Farbauftrag die eher lichte Vegetation unserer heimischen Wälder zeigt. Ein natürliches Grün schimmert durch das Unterholz, das Immergrüne von Nadelbaum und Efeu setzt Akzente. Wald und Grün, das ist für mich ein Synonym von Erholung und Entspannung. Doch die Assoziation täuscht. Wald ist längst nicht mehr nur ein Erholungsraum, er ist auch Wirtschaftsraum. Wald bedeutet Holzwirtschaft, Tourismus, eine gezähmte Natur, der man sich ohne Gefahren nähern kann. Die Waldstücke der beiden Arbeiten Koh Gnai und Sternwald 10 stehen sich diametral gegenüber - auf der einen Seite der geforstete, kontrollierte Baumbestand, auf der anderen Seite das wild wuchernde Fremde, das Exotische.
Mit diesen Arbeiten eröffnen sich die Bedeutungsebenen der Landschaftsmalerei. Ein Genre, das die Kunstgeschichte erst seit dem 16. Jahrhundert kennt und das sich im Laufe der Zeit nicht nur zu einem eigenständigen, sondern auch kritischen Genre entwickelte. Im 17. Jahrhundert war es vor allem die niederländische Malerei, die mit wachsenden Kenntnissen über die Welt und ihre Kartographie das Genre zu einer Blüte brachten. Landschaften als eigenständige Darstellung der Natur wurden aus Versatzstücken komponiert, ideale Welten wurden geschaffen. Arkadien, die bukolische Hirtenlandschaft galt Ende des 18. Jahrhunderts als Sehnsuchtsort der Literaten. Goethe glaubte auf seiner Italienreise diesen idyllischen Ort gefunden zu haben und stellt seine Reiseberichte unter das Motto "Et in Arcadia ego" - "Auch ich in Arkadien"
Zu Beginn des 20. Jahrhundert definieren dann die Avantgarden die Kunstwelt völlig neu und schaffen damit die Basis zu einer kritischen Interpretation der Landschaftsmalerei. Aktuell nutzen Künstler wie Markus Lüpertz mit seinem Zyklus der Seelöwer Höhen Landschaften (2007) als Matrizen für Ihre Gesellschaftskritik. Gerhard Richter komponiert seine Landschaften aus verschiedenen Pressefotografien und versucht so diese Abbilder der Natur von Ihrer Informationsflut zu befreien und die Malerei an sich abzubilden.
Das Oeuvre von Celso Martínez Naves ist für mich vor allem durch eine feinfühlige Kritik geprägt, die er uns sinnreich mit Licht und Farbe vor Augen führt.
Virtuos oszillieren die rund 40 Bilder, die Sie hier in der Galerie sehen, um das Thema Grenze: begrenzt ist das Mittel, eingegrenzt das Format, grenzenlos die künstlerische Idee des Malers. Celso Martínez Naves begrenzt ganz bewusst seine Malmittel, indem er ausschließlich in Öl malt, oft auf Leinwand, in seltenen Fällen auf Hartfaser. Der Prozess der Ölmalerei erfolgt meistens in der gleichen Abfolge: Grundierung, Skizze, Flächenausarbeitung. Es ist ein Handwerk, das er meisterlich beherrscht und in Szene zu setzen vermag. Genau diese bewusste Einschränkung auf das Material und das Sujet der Landschaften, ob urbane oder natürliche, ermöglichen Celso Martínez Naves das konzentrierte Arbeiten. Fast einer meditativen Versenkung gleich, gelingt es ihm, ein Ikonos, ein Urbild eines grenzfreien Raumes zu schaffen.
Der Künstler lässt uns dafür auf das weite Meer blicken. Als ich die kleinformatigen Arbeiten Valdearenas sah, war ich begeistert, auf solch kleinem Format, gerade einmal 30 auf 40 cm, solch weite, grenzenlose Seelandschaften zu sehen. Ein Seestück, das Sehnsüchte weckt, das Assoziation hervorruft, ich roch förmlich die salzige Luft, die die Gischt aufwirbelt, der Wind und die Wellenbewegung evozierten ein Gefühl von Grenzenlosigkeit - vielleicht geht es Ihnen auch so beim Blick auf das Meer.
Eine andere Arbeit, Aeropuerto (Yamal) erweckte ganz ähnliche Sehnsüchte, doch sehen wir hier etwas völlig anderes. Der Bildgrund ist eine statische, graue Rollbahn. Wie eine Kulisse beleuchtet eine einzige Lichtquelle die delikate Bildkomposition der Szenerie. Schon verwischt sich der Hintergrund, der Blick fliegt dem Horizont entgegen, reist gedanklich über Grenzen hinweg in ferne Länder, in eine vergessene Heimat. Doch müssen es nicht immer Ort des Transits sein, durch die uns Celso Martínez Naves seine gedankliche Freiheit spüren lässt. Räume, wie die Innenansicht des Freiburger Münster (z. B. Münster 3) wandeln sich von der oft gesehenen Ansicht zur geistigen Erhabenheit, zu einem Ort, der für das Kontemplative des Glaubens steht. Wie schafft der Künstler das? Schauen Sie genau hin, meine Damen und Herren. Es ist die Begrenzung auf das Wesentliche. Celso Martínez Naves verzichtet in seinen Arbeiten, die den Innenraum des Münsters zeigen, auf die Sitzbänke und schafft durch dieses Weglassen einen feinen, aber klar formulierten Subtext: ein Kirchenraum ist ein Ort der lebendigen, bewegenden Zusammenkunft, erhellt durch das Licht.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie einladen, den wunderbaren, so vielschichtigen Arbeiten von Celso Martínez Naves mit offenen Augen und Herzen gegenüberzutreten, in sich hineinzuhören und vielleicht mit dem einen oder anderen darüber ins Gespräch zu kommen.
© Dr. Caroline Li-Li Yi VG-Wort 2018