Celso Martínez Naves im Kunstverein Oberer Neckar. Rede zur Eröffnung der Ausstellung, Horb am Neckar am 5. Juni 2016
Flughäfen, Städte, Industriebauten, das Freiburger Münster, Wald - im kleinen wie im großen Format schicken uns die Bilder von Celso Martínez Naves auf Reisen. Mit Romantik hat das nichts zu tun, auch wenn das wunderbare Wolkenspiel bei der großen Komposition "A 35-2" (Flur) von 2009 die Autobahn in einen Sehnsuchtsort zu verwandeln vermag.
Celso Martínez Naves arbeitet in Bildserien, die zumeist menschenleere aber atmosphärisch stark aufgeladene Orte zeigen. Es geht ihm weniger um deren topografische Bestimmbarkeit, als um das Erzeugen einer Stimmung, die das Bild in sich stimmig macht. Der Künstler trägt die Farbe in zarten Tupfen und kurzen Pinselstrichen auf, seine Kompositionen setzen sich aus den dabei entstehenden, kleinen, ungegenständlichen Farbzonen zusammen und wirken sehr offen. Auf diese Weise verknüpft der Künstler die Impression eines Augenblickes nicht nur mit realistischen Bildelementen sondern auch mit nahezu abstrakten Gestaltungsprinzipien. Wenn wir die verschiedenen Werkgruppen betrachten, so fällt noch etwas Wesentliches auf: Die Motive, die Art des Farbauftrages und der Abstraktionsgrad wechseln - eines bleibt jedoch immer zentrales Thema seiner Malerei: Celso Martínez malt das Licht. In subtilen Abstufungen bringt er das nächtliche oder frühmorgendliche Licht auf den nassen Straßen, auf den Häuserwänden und Wasseroberflächen auf die Leinwand und es ist auch das Licht, das die satten Grüntöne des Waldes zum Leuchten und den Staub in der Hitze der Städte zum Flirren bringt.
Die "Nachtbilder" sind seine wichtigste und zugleich persönlichste Themengruppe. Schon seit der Studienzeit an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und dann bis 1983 an der Freiburger Außenstelle bei Peter Dreher zieht sich das Thema wie ein leuchtend roter Faden durch sein Werk. Martínez wurde in Spanien, genauer gesagt in El Entrego, San Martín del Rey Aurelio geboren, und die "Nachtbilder" entstanden aus der Erinnerung an die Bergwerke seiner asturische Heimat, wo die Dunkelheit in den Stollen nur punktuell durch die Lampen an den Helmen der Arbeiter durchbrochen wird. Aber bei seiner Erforschung von Hell-Dunkel-Kontrasten spielt natürlich auch die große Tradition der spanischen Malerei eine Rolle. Denken Sie nur an die Werke von Velázquez, Ribera, Zurbarán oder Goya. Im Werk von Martínez spielen übergeordnete, erzählerische Stoffe allerdings keine Rolle. Das Thema "Nacht" steht bei ihm nicht, wie das beispielsweise bei Goya und dann später bei den Symbolisten der Fall war, für das bedrohliche Reich des Unterbewussten. Celso Martínez setzt bei der sichtbaren Wirklichkeit an und lässt sich durch ein Motiv, eine interessante Oberflächenstruktur, ein Farbenspiel inspirieren. Seine nächtlichen Stadtansichten besitzen immer einen ganz realen, erlebten Hintergrund. Der Künstler zeigt die von ihm so erlebte Schönheit der Nacht, ihre Stille und Einsamkeit. Daher sind seine Plätze und Straßen menschenleer, selbst die Flughäfen wirken wie Orte der Ruhe und Kontemplation. Unter dem Schleier der Dunkelheit werden alle Bildelemente zu einer stillen Form des Daseins zusammengeschmolzen, und wir erleben die Nacht als eine wohltuende Pause zwischen der Buntheit und Hektik der Tage.
Hierzu möchte ich ein Zitat des Künstlers anfügen:
"Für mich ist die Dunkelheit eine Hülle, die die Formen reduziert, abstrahiert, wo man sich geschützt und geborgen fühlt. Sie schafft Atmosphäre, Stimmungen, Geheimnisvolles".
In der Tat wohnt diesen Bildern ein Geheimnis inne, wir können beobachten, wie sich in der Dämmerung die Formen verwandeln, wie die Konturen unscharf werden und sich die Gegenstandsfarben verändern. In technischer Hinsicht fällt überdies auf, dass sich die Bildgestaltung auf die Ränder der Leinwand hin ausdehnt und damit das Bild als Objekt vor der Wand schweben lässt. So können wir in die bildnerische Realität dieser nächtlichen Orte eintauchen und dort eine eigene Geschichte erleben. Im Hinblick auf die Nachtbilder muss noch erwähnt werden, dass Martínez bei seinen in alla prima Technik ausgeführten Ölbildern nie mit Schwarz arbeitet. Die Dunkelheit kommt durch verschiedene Mischtöne, etwa Blau und Braun zustande. Sein nächtliches Schwarz ist daher nie hermetisch, sondern weich und transparent und kann von kleinsten Lichtquellen durchdrungen werden. Diese künstlichen Lichtquellen – etwa Straßenlaternen, Leuchtreklamen und beleuchtete Innenräume - bilden kleine Inseln der Farbigkeit und deuten indirekt auch auf die Anwesenheit des Menschen hin. Und wenn die Nacht schließlich zu Ende geht, vertreibt die Helligkeit der Morgendämmerung die Dunkelheit aus den Städten und ist eine Verheißung auf das, was der neue Tag bringen könnte.
Ich habe schon erwähnt, dass die Stadtansichten über einen realen, erlebten Hintergrund verfügen. Wir finden in der Ausstellung beispielsweise drei Münsterbilder aus Freiburg, der Stadt, in der der Künstler seit vielen Jahren lebt und arbeitet. Auslöser für neue Nachtbilder sind aber auch Reisen, so der Aufenthalt in einer fremden Großstadt mit dem Blick aus dem Hotelfenster heraus in die nächtlichen Straßenschluchten. Manchmal macht der Künstler ein Foto als Gedächtnisstütze, das aber nicht für eine fotorealistische Bildübersetzung benutzt wird. Die Aufnahme hält nur eine Idee fest, die zu Hause im Atelier umgesetzt wird. Diese Trennung von Sehen und Gestalten führt dazu, dass die Vorstellung, welche der Künstler von der Darstellung hat, in den Vordergrund tritt und sich mit seinem Reservoir von Erinnern, Erleben und Empfinden verbindet. Damit wird auch klar, warum es im Prinzip unwesentlich zu wissen ist, ob eine Straße in Berlin, ein Platz in Madrid oder ein Flughafen irgendwo in Deutschland liegt. Thema seiner Bilder ist nicht ein bestimmter Ort, sondern das lautlose Zusammentreffen von Licht und Architektur. So erleben wir ein zwischen Realität und Surrealität changierendes Bild.
In gewisser Weise stellen die Bilder von Venedig hierzu eine Ausnahme dar, denn die Lagunenstadt ist nun einmal ein Sujet, das sich auf den ersten Blick verorten lässt. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass es Martínez extrem gereizt hat, diese belebte, Tag für Tag von Touristen überflutete Stadt einmal zum Stillstand zu bringen. Der schöne Augenblick, in dem aller Eindruck durch Licht entsteht, dehnt sich nun hier zu einem Moment der absoluten Stille. Diese Venedig-Bilder erzählen vom Blau des Himmels, vom Grau einer Wand, vom stillen Dasein einer Welt im Wunder des Lichtes. Die Kanäle reflektieren das Licht der Häuser, alle Bildteile verdichten sich zu einem Formenereignis, und so realistisch - gerade diese Venedig-Bilder - auf den ersten Blick wirken, so abstrakt werden sie bei näherer Betrachtung.
Die ersten "grünen Bilder" entstanden nach einer Südamerikareise im Jahre 1982, eine weitere Folge entstand nach einer Thailandreise Mitte der 1990er Jahre. Seit der Künstler einen Sommermonat in Bayern verbracht hat, ist der deutsche Wald in seinen Fokus gerückt, und Sie sehen in dieser Ausstellung auch eine Reihe von Bildern, die den Freiburger Sternwald zeigt. Betrachten wir die 6 thailändischen Urwaldbilder, die im Flur hängen, so verfügen sie im Unterschied zu den Nachtbildern über einen wesentlich pastoseren Farbauftrag. Hier zeigt sich auch ein ganz anderer Umgang mit der Räumlichkeit. Während sich bei den nächtlichen Stadtszenen über die Lichtführung und die Farbigkeit eine klare Bildaufteilung ergibt, verweben die Farben der Urwaldbilder die Bildfläche, und durch die große Farbdicke entsteht eine geradezu reliefartige Oberfläche. Die Farbe wächst förmlich aus dem Untergrund hervor und überwuchert das Bildfeld. Dabei löst sie sich zu einem nahezu abstrakten Farbmuster auf. Über die Formung dieser dicken Schichten erhält die Farbe eine plastische Oberflächenstruktur – und sie wird selbst zum Bildgegenstand. Deutlicher als durch diese Materialität kann auf das Thema "Farbe" wohl kaum hingewiesen werden. Dennoch entsteht kein völlig abstraktes Werk, denn Martínez braucht immer beides: Einen realistischen Inhalt und abstrakte Bildelemente. Die Gewichtung dieser Bestandteile wechselt allerdings, mal ist mehr das eine, mal mehr das andere im Vordergrund. Die neueren Sternwaldbilder zeigen einen weniger pastosen Farbauftrag und stehen auch in ihrer räumlichen Auffassung den Städtebildern näher. Doch wir sehen: Immer ist es die Atmosphäre der gezeigten Orte, die auf uns übergreift und uns gefangen nimmt, uns mit Haut und Haaren in diese Bildräume, in die Wälder, Urwälder und Städte, eintauchen lässt.
Sehr geehrte Damen und Herren, in den Werken von Celso Martínez Naves wird die Diskussion um impressionistische, realistische oder abstrakte Malerei obsolet. Seine Kompositionen zeigen, dass Bilder ihre eigene Realität haben und dass Dinge gerade durch ihre scheinbar gegenständliche Darstellung offen bleiben und neu überdacht werden wollen.